In der zweiten Jahreshälfte 1948 hatten die Kampfhandlungen im Norden Israels und gezielte Vertreibungsmaßnahmen der israelischen Armee dazu geführt, daß einige zehntausend Palästinenser - heute spricht man von mehr als 300.000 Flüchtlingen im Libanon - im nördlichen Nachbarland Zuflucht suchten. Es entstanden Flüchtlingslager, einige davon auch in der Peripherie der libanesischen Hauptstadt Beirut, darunter Sabra und Schatila. Die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon waren rechtlos und ökonomisch fast völlig von Zuwendungen des UN-Flüchtlingshilfswerks abhängig. Ihre Lage besserte sich erst Ende der 60er Jahre, als die PLO im Libanon Fuß fassen konnte. Zugleich aber wurde das Land nun zunehmend zum Ziel israelischer Angriffe: Kommandoaktionen wie am 28. Dezember 1968, als auf dem Flugplatz Beirut der Großteil der Flotte der Middle East Airlines zerstört wurde; am 10. April 1973 die Ermordung palästinensischer Funktionäre und ihrer Familien inmitten von Beirut - einer der Beteiligten war der spätere Regierungschef Barak; 1978 die sogenannte "Operation Litani", der Einmarsch in den Libanon und die mehrmonatige Besetzung des Südlibanon.
Die Lage komplizierte sich durch innerlibanesische Widersprüche: Ein fragiles Gleichgewicht zwischen christlichen und moslemischen Bevölkerungsgruppen mündete Mitte der 70er Jahre in einen innerlibanesischen Bürgerkrieg zwischen "christlichen" Milizen" (ein Bündnis mehrerer rechtsgerichteter Parteien; die führende Position nahm die Phalange-Partei ein, die 1936 von Pierre Gemayel, dem Vater Bashir Gemayels, gegründet worden war) und den Bewaffneten der sogenannten "Nationalprogressiven Bewegung" In den Bürgerkrieg wurde zeitweise auch die palästinensische Bewegung hineingezogen. Dieser Bürgerkrieg wurde durch den Einmarsch der syrischen Armee beendet. Soweit der Hintergrund.
Stets betrachtete Israel die bloße Anwesenheit der PLO im nördlichen Nachbarland als Herausforderung und suchte nach Wegen, die palästinensische Präsenz dort dauerhaft auszulöschen. So erweist sich der angebliche Anlaß für den Einmarsch der israelischen Armee vom 6. Juni 1982 (euphemistisch "Aktion Frieden für Galiläa" genannt) als Vorwand, nämlich ein Attentat am 3. Juni auf den israelischen Botschafter in London.
Der seinerzeitige US-Botschafter in Israel, Samuel W. Lewis,
hat später in einem Interview berichtet, daß Israels Verteidigungsminister Ariel Scharon bereits bei
einem Treffen mit dem amerikanischen Sonderbotschafter Philip Habib am 5. Dezember 1981 "in einigen hypothetischen Details das Konzept" dieses Libanonkrieges beschrieben habe. Philip Habib, Sohn libanesischer Einwanderer, hatte 1969/70 die amerikanischen Friedensverhandlungen mit Vietnam in Paris geführt; 1979 war er erst Berater von Außenminister Vance und später Stellvertretender Außenminister; seit 1981 unternahm er im Auftrag von Präsident Reagan Pendelmissionen im Nahen Osten. Lewis berichtete: "Habib war, wie ich und auch andere von uns, wie vom Donner gerührt durch die Unverschämtheit und das politische Konzept, das daraus sprach." Habib hätte heftig reagiert, er hätte Scharon unmißverständlich klar gemacht, daß dies in den Augen der US-Regierung ein unvorstellbares Szenarium sei. Der damalige amerikanische Außenminister Alexander Haig berichtete in seinem Memoiren ergänzend, daß Scharon Habib einen "Achtundvierzig-Stunden-Schlag" geschildert hatte, durch den man "fünfzigtausend bewaffnete Terroristen vertreiben und Baschir Gemayel zum Präsidenten Libanons machen" werde. Habib sagte darauf zu Scharon: "Sie erschrecken mich. Was wollen sie mit hunderttausend Palästinensern tun?" - "Wir werden sie den Libanesen ausliefern," habe Scharon gesagt...
Seit dem März 1976 gab es eine enge Bundesgenossenschaft zwischen Israel und den "christlichen" Milizen. Der Kommandeur dieser "Lebanese Forces", Baschir Gemayel, besuchte erstmals insgeheim Israel; als Verbindungsoffizier entsandte man zeitweise Oberst Benjamin Ben-Eliezer [heute Israels Verteidigungsminister] in den Libanon.
Ariel Scharon hatte im Januar 1982 insgeheim als Gast Gemayels West-Beirut besucht - in Begleitung des Armee-Geheimdienstchef Saguy. Vom Dach eines 17-stöckigen Gebäudes schaute man hinunter auf die Stadt und auf die Flüchtlingslager, und Scharon erläuterte, eine Aktion im Libanon mache nur dann Sinn, wenn sie "gründlich" sei, das heißt, wenn die PLO aus dem Libanon vertrieben werde. Das aber könne nur die israelische Armee leisten. Saguy widersprach ihm. In Beirut gerate man nur "in den Morast". Scharon habe, so wird berichtet, die Argumente des Geheimdienstlers akzeptiert: "Vielleicht haben Sie Recht. Wir sollten die Phalange Beirut einnehmen lassen. Wir müßten die Stadt überhaupt nicht betreten; sie würden sie an unserer Stelle nehmen."
Die Dinge liefen ziemlich unerbittlich auf das Massaker von Sabra und Schatila zu.