Israel: Die Regierung lügt - die Opposition geht auf die Straße |
Am 19. September 1982 gab die israelische Regierung eine offizielle Erklärung ab, in der sie alle Verantwortung für die Ereignisse in Sabra und Schatila weit von sich wies. "Am Neujahrstag," hieß es da, "wurden der jüdische Staat und seine Regierung sowie die israelischen Verteidigungsstreitkräfte verleumderisch einer Bluttat berichtigt. An einem Ort, wo es keine Stellungen des israelischen Heeres gab, betrat eine libanesische Einheit ein Flüchtlingslager, wo sich Terroristen versteckten, um sie zu ergreifen." Zynisch ging es weiter: "Sobald die israelischen Verteidigungsstreitkräfte von den tragischen Vorgängen in dem Lager Schatila erfuhren, machten sie dem Töten unschuldiger Zivilisten ein Ende und zwangen die libanesischen Einheiten, das Lager zu verlassen. Die Zivilbevölkerung selbst gab ihrer Dankbarkeit für diese Rettungstat der israelischen Verteidigungsstreitkräfte klaren Ausdruck." Und weiter: "Die Tatsache bleibt bestehen, daß es ohne das Eingreifen der israelischen Verteidigungsstreitkräfte erheblich höhere Verluste an Leben gegeben hätte." Und wer immer etwas anderes behauptete, den nannte die israelische Regierung einen "internationalen Aufwiegler". Denn "niemand kann uns Ethik und Achtung des menschlichen Lebens predigen, Werte, die wir Generationen von israelischen Kämpfern gelehrt haben und lehren werden".
Es war jener 19. September 1982, als sich auf dem Platz der Könige Israels in Tel Aviv 400 000 Menschen zu der größten Demonstration in der Geschichte des Landes versammelten, voll Zorn und Scham über das, was da mit Hilfe oder Beteiligung und Wissen israelischer Militärs in Beirut geschehen war. Ihr Protest bewirkte, daß ein Untersuchungsausschuß unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichts, Yitzchak Kahan, eingesetzt wurde. Am 22. September 1982 hatte die Knesset einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung beraten. Wie debattierte man im Parlament? Ariel Scharon verkündete: "Wir konnten uns in unseren schlimmsten Träumen nicht vorstellen, daß die Phalangekräfte, die uns immer als disziplinierte Armee erschienen waren, sich zu Massakern hingeben würden." Zwischenruf des kommunstischen Abgeordneten Meir Wilner: ""Wer hat die Mörder hingeschickt?" Scharon: ""Unser Herz schlägt ..." Meir Wilner: "Haben Sie ein Herz?" Zwischenruf des Abgeordneten Amnon Rubinstein von der oppositionellen Shinui-Partei: "Es sind Ihre Kumpane. Sie haben ihnen Waffen gegeben. Man kann diese Heuchelei nicht ertragen." Zwischenruf des kommunistischen Abgeordneten Tewfiq Zayad, des Bürgermeisters von Nazareth: "Henker! Mörder!" Wilner und Zayad wurden von Ordnern aus dem Saal geschleppt. Mit 48 zu 42 Stimmen wurde der Regierung Menachem Begin wieder das Vertrauen ausgesprochen. Am 11. Oktober 1982 nahm die Kahan-Kommission ihre Arbeit auf. Sie studierte siebzehntausend Seiten Dokumente. Sie vernahm in achtundfünfzig Verhören neunundvierzig Zeugen. Zwanzigtausend Seiten umfaßten die Protokolle, 138 Seiten den Schlußbericht, der am 8. Februar 1983 der Regierung übergeben wurde. Nur 108 Seiten davon bekam die Öffentlichkeit zu Gesicht, dazu ein leeres Blatt mit der Überschrift "Anhang B". Auch dieser Anhang blieb geheim. Was bewirkte der Bericht? Nie ist einer der Mörder von Sabra und Schatila zur Rechenschaft gezogen worden. Menachem Begin verzichtete am 30. August 1983 überraschend auf das Amt des Ministerpräsidenten. Ariel Scharon mußte zurücktreten, aber schon wenige Jahre später war er wieder zur Stelle, als Landwirtschaftsminister trieb er den Bodenraub auf der okkupierten Westbank voran, und er trat schließlich an die Spitze der israelischen Regierung. Im August 1987 hat er in der Universität Tel Aviv einen Vortrag über die Ereignisse von 1982 gehalten. Er begann mit den Worten: "Der Krieg war ein Erfolg." |
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