Die Täter gehen straflos aus Ein Nachsatz |
Anfang Juni 2002 reichte ein Komitee, in dem sich Palästinenser, Libanesen, Marokkaner und Bel-gier zusammenschlossen hatten, in Brüssel eine Klage gegen Scharon ein. Es berief sich auf ein welt-weit einmaliges belgisches Gesetz, wonach die Gerichte des Landes Kriegsverbrechen, Völkermord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von der Nationalität des Täters und dem Tat-ort ahnden dürfen. Darauf gestützt waren zuvor vier Ruander wegen des Völkermords im Bürgerkrieg dort zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Kläger gegen Scharon stützen sich u.a. auf den israelischen Untersuchungsbericht, in dem Scharon als damaligem Verteidigungsminister eine indirekte Verantwortung für den Überfall auf die Lager zugeschrieben wurde. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb am 23. Juni 2001: "Die Klage gegen Scharon kommt nicht überraschend, nachdem Anfang Monat bereits ein Antrag auf Ahndung der Vorkommnisse von 1982 in den palästinensischen Flücht-lingslagern deponiert worden war. (...) Der libanesische Anwalt Chibli Mallat, der die Sammelklage der 23 Überlebenden vertritt, erklärte im belgischen Fernsehen, Scharon trage moralische Verantwortung für das Massaker. (...) Die Klage beschränkt sich übrigens nicht auf Scharon allein. ... Die Antrags-steller mussten jedoch einräumen, dass die Ausführung eines Haftbefehls für Scharon mit Problemen verbunden wäre." Anfang Juli 2002 nahm ein Untersuchungsrichter Vorermittlungen gegen Scharon auf.
Die "Berliner Zeitung" veröffentlichte am 30. Juli 2001 ein Interview mit dem belgischen Anwalt Luc Walleyn, der in Brüssel 23 Überlebende des Massakers von Sabra und Schatila vertritt. Walleyn sagte, die israelische Kahan-Kommission habe "den Schluss gezogen, dass Scharon persönlich verant-wortlich war, selbst wenn sie es nur als indirekte Verantwortung bezeichnete. Nach internationalem Recht aber sind nicht nur diejenigen verantwortlich, die getötet haben, sondern auch diejenigen, die solche Massaker möglich gemacht haben. Laut Genfer Konvention hatte die israelische Armee als Besatzungsarmee die Pflicht, die Zivilisten zu schützen. Wer diese Pflicht verletzt, macht sich eines Verbrechens schuldig." Der Anwalt sagte auch: "Interessant ist, dass Scharon auf seiner jüngsten Eu-ropa-Reise nicht - wie zunächst angekündigt - nach Belgien gekommen ist. Scharon nimmt die Anzeige gegen ihn offenbar ernst. Schließlich ist es möglich, dass der belgische Untersuchungsrichter einen Haftbefehl ausstellt, so wie es gegen Pinochet der Fall war." Am 26. Dezember 2002 wurde in Brüssel von den Anwälten der Überlebenden von Sabra und Schatila die Anklageschrift gegen den israelischen Ministerpräsidenten vorgelegt. Anwälte beider Sei-ten erklärten nach einer zweistündigen Anhörung, zentrale Frage sei die Zuständigkeit des Gerichts in Brüssel gewesen. "Die belgische Justiz ist in der Lage, diesen Fall zu behandeln", sagte der Anwalt der Palästinenser, Michael Verjaeghe. Dem widersprach der Anwalt Scharons, Adrien Masset. Dann kam am 24. Januar 2002 der ehemalige libanesische Milizenführer Elias Hobeika in Beirut bei einem Bombenanschlag um. Der Regierungsvertreter in der zuständigen libanesischen Untersuchungs-behörde erklärte, Israel stehe hinter dem Anschlag. Scharon bestritt das. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb am 25. Januar 2002: "Die Beschuldigung des jüdischen Nachbarn gehört zwar zu den reflexar-tigen Erklärungen für Zwischenfälle in arabischen Ländern, doch ist sie diesmal auch nach Ansicht unabhängiger libanesischer Kommentatoren durch die Umstände gestützt. Ein belgischer Abgeordneter gab nämlich bekannt, er habe sich am Dienstag drei Stunden lang in Beirut mit Hobeika getroffen, und dieser habe seine Bereitschaft bekräftigt, an einem Verfahren wegen Kriegsverbrechen gegen Scharon in Brüssel als Zeuge auszusagen. Vor Journalisten hatte Hobeika schon im letzten Juli erklärt, er wolle in Brüssel wichtiges Beweismaterial einbringen, das ihn selbst entlaste und die israelische Version über die Ermordung von palästinensischen Zivilisten in Sabra und Schatila vom Jahr 1982 völlig umwerfe." Am 15. Februar 2002 beschloss der Internationale Gerichtshof in Den Haag, Belgien müsse einen Haftbefehl gegen den früheren kongolesischen Außenminister Ndombasi aufheben, der in Belgien un-ter anderem wegen Aufforderung zum Rassenhass verfolgt wurde. Dieses Urteil über den Schutz am-tierender Regierungsmitglieder vor Strafverfolgungen im Ausland könnte das Verfahren gegen Scharon beenden, hieß es sofort. Scharons belgische Anwältin Michéle Hirsch sagte, nunmehr könnten in Bel-gien keine Verfahren gegen ausländische Minister mehr eröffnet werden. So ist es geschehen. Am 26. Juni 2002 entschied die Anklagekammer des Gerichts in Brüssel, die Klage zurückzuweisen. "Dies ist ein harter Schlag gegen das Prinzip der universellen Verfolgbarkeit", sagte Montserrat Carreras von Amnesty International. "Die Täter gehen straflos aus." |
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