14. September 1982: Der Mord an Bashir Gemayel |
Nur einen Tag später, am 14. September, war Beirut wieder vom Dröhnen einer gewaltigen Detonation aufgeschreckt worden. Um 16 Uhr 10 erhob sich eine Rauch- und Staubwolke über dem Stadtviertel Ashrafije im Ostteil der Stadt, im "Christenviertel", das bislang von diesem Krieg verschont geblieben war. Unweit des Hafens stürzte ein mehrstöckiges Haus in sich zusammen. Ambulanzen jagten mit heulenden Sirenen zu der Stelle, wo - wie man später ermittelte - fünfzig Kilo TNT gezündet worden waren.
Im 1. Geschoß des in sich zusammenfallenden Gebäudes hat sich ein Hauptquartier der Phalange-Partei befunden. Hier hatte um 16 Uhr eine Beratung der Kommandeure der Lebanese Forces begonnen. Zugegen war der vorherige Oberkommandierende, Baschir Gemayel, der neugewählte Präsident. Die erste Meldung, die die Nachrichtenagenturen um die Welt funkten, lautete, es habe zehn Tote gegeben: "Gemayel entging dem Anschlag unverletzt. Er wurde sofort in Sicherheit gebracht." In der Gerüchteküche Beirut begannen sofort die Spekulationen. Wer waren die Täter? Wer konnte ein Interesse an dem Tod des künftigen Staatsoberhaupts haben? Keine Frage, Baschir Gemayel hatte Feinde in Hülle und Fülle. Unvergessen waren die blutigen Machtkämpfe unter den Maroniten, bei denen Baschir in die Familienclans der Franjieh und der Chamoun blutige Lücken geschlagen hatte. Daß er Feinde über Feinde im muslimischen Lager hatte, wußte jeder. Daß sein Verhältnis zu den Syrern, vornehm ausgedrückt, "gespannt" war, wer wollte es in Frage stellen. Und seit einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Begin wußte man, auch mit den Israelis gab es Probleme. Jetzt erinnerte man sich, daß Gemayel unmittelbar nach seiner Wahl ein, wie es hieß, "historisches" Treffen mit einigen Führern der muslimischen Gemeinschaft gehabt hatte. Der neue Präsident, meinte die "New York Times", habe es in kürzester Zeit fertiggebracht, einige führende Köpfe der Moslems dazu zu bringen, den Sieg der Phalangisten zu akzeptieren, im Interesse einer "Einigung zum Wohle des Libanon". Das hätte sicherlich die Rückkehr zu den Zuständen vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges bedeutet, zu den Zuständen also, die den Bürgerkrieg ausgelöst hatten. Zugleich aber wäre das das endgültige Aus für den "Großen Plan" von Scharon und Begin gewesen. Es scheint übrigens, als habe Ariel Scharon das alles kommen sehen, wenn er am 4. September bekannt gegeben hatte, Israel beabsichtige, eine "Sicherheitszone" im Südlibanon einem "Spezialstatus" zu unterwerfen, sprich: vom Territorium des libanesischen Staates abzuzwacken, dem Einfluß des künftigen Präsidenten zu entziehen. 14. September, 19 Uhr. Noch hatten die Suchtrupps in den Trümmern des Phalange-Hauptquartiers keine Spur von Baschir Gemayel entdeckt, noch glaubte man überall der Nachricht, der Präsident in spe habe den Anschlag überlebt, da rief der Kommandeur der israelischen Streitkräfte im Libanon, der 47-jährige Brigadegeneral Amos Drori, seine Offiziere zu einer dringenden Besprechung. Er gab den Befehl, alles Nötige für einen schnellen Einmarsch in West-Beirut vorzubereiten. Um 21 Uhr, noch immer war nicht sicher, was mit Gemayel war, bestellte Ariel Scharon den Generalstabschef Rafael Eitan in sein Büro in Jerusalem. Was General Drori in Beirut schon richtig geahnt hatte, jetzt war der Befehl da: Sofort die Besetzung aller Schlüsselpositionen in West-Beirut vorzubereiten. West-Beirut war seit dem Abzug der Italiener am Vortag ein Vakuum, jedenfalls in israelischer Sicht. Linksmilizen beherrschten den Stadtteil. Bei der Gelegenheit hatte Scharon auch gleich darauf hingewiesen, nicht die israelischen Streitkräfte, sondern die "christlichen" Milizen würden in die palästinensischen Flüchtlingslager einrücken. Aber diese Mitteilung behielt Israels Generalstabschef Eitan für sich, als er wenig später mit Ministerpräsident Begin sprach, und als dieser meinte, man müsse die Moslems vor der Rache der Phalangisten schützen. Das Thema eines Einmarsches in West-Beirut hatte den israelischen Verteidigungsminister schon seit Wochen bewegt. Noch zwei Tage vor der Explosion in Ashrafije, am Abend es 12. September, hatte Scharon mit Baschir Gemayel darüber gesprochen. Es war über die künftigen israelisch-libanesischen Verhandlungen debattiert worden und - aufgemerkt! - über die "Reinigung West-Beiruts". In beiden Punkten hätte es Übereinstimmung gegeben, schreibt der israelische Militärkommentator Zeev Schiff. Der Journalist fügt hinzu: "Scharon wollte sicher sein, daß die libanesische Armee schnell in Beiruts Flüchtlingslager einrücken würde und verlangte, daß gleichzeitig phalangistische Einheiten hineingeschickt würden." Baschir Gemayel hätte sich dafür ausgesprochen, alle Spuren der Lager im Süden Beiruts auszulöschen und an ihrer Stelle einen "enormen Zoologischen Garten" anzulegen. Die Bewohner der Lager solle man in Busse laden und zur syrischen Grenze schaffen. Schiff: "Beide Männer wußten natürlich, daß dieser Plan eine totale Verletzung des Abzugs-Abkommens darstellte..." Aber Abkommen hin, Abkommen her - von einer "Endlösung" der Palästinenser-Frage, von einer endgültigen Austreibung der Flüchtlinge, immer weiter weg von Israels Grenzen, waren einige zionistische Politiker nun mal besessen. Der Libanonkrieg hatte alten Gedanken einen neuen Impetus gegeben. Am 10. Juni 1982 war in einer Sitzung des Außenpolitischen und Verteidigungsausschusses der Knesset von Menachem Begin in einem Nebensatz der "Transfer" der Palästinenser aus dem Südlibanon erwähnt worden. Später hatte der Premier die Anweisung erteilt, den Wiederaufbau zerstörter Flüchtlingslager zu verhindern. Der neuernannte israelische Militärgouverneur für den Südlibanon, Generalmajor David Maimon, sagte am 13. Juni seinen Leuten, man solle die Zerstörung der Lager als einen zwar unbeabsichtigten aber willkommenen Erfolg des Krieges werten. Und hatte nicht schließlich Minister Ya'acov Meridor versucht, Druck auf die libanesischen Behörden auszuüben, damit sie die Lager auflösten. Wer so etwas dachte, hatte keinen, aber auch gar keinen Sinn für Warnungen. Da hatte beispielsweise am 12. August - man verhandelte noch über den PLO-Abzug - Armee-Geheimdienstchef Saguy bei einem Treffen in Scharons Büro in Jerusalem gesagt, auch nach dem Abrücken würden noch "Terroristen in Beirut verbleiben", aber: "die Phalange wird einen Weg finden, sie zu schnappen und alte Rechnungen mit ihnen zu begleichen. Eines Tages werden die Morde beginnen und weitergehen und weitergehen ohne Ende." Den Geheimdienstchef hatten bei diesem Szenarium offenbar nicht so sehr die zu erwartenden Toten gestört, sondern die mögliche Verantwortung. Er hatte nämlich dringlich empfohlen, sich da rauszuhalten. Am besten sei es, aus Beirut abzuziehen. Solle doch die Multinationale Streitmacht zusehen, wie sie mit dem Massaker fertig würde. Solche Überlegungen wurden nun ganz aktuell, wenn das bislang von den linken Milizen kontrollierte West-Beirut besetzt werden könnte. Zunächst einmal aber entdeckte am 14. September um 23 Uhr ein israelischer Offizier (ein israelischer Offizier!) auf dem Trümmerberg in Ashrafije den Leichnam Baschir Gemayels. Der schwer verstümmelte Körper konnte nur an dem Trauring des designierten Präsidenten identifiziert werden. Und noch immer wußte man nicht, wer die gewaltige Sprengladung gezündet hatte. Das von der Phalange schwer bewachte Haus konnte weder unbemerkt noch von Unbekannten oder unkontrolliert betreten werden. Deshalb meinen Beobachter später zu israelischen Anschuldigungen, die PLO und die Linksmilizen, die da verdächtigt wurden, seien "überhaupt nicht fähig gewesen, einen solchen Anschlag im Machtbereich Gemayels auszuführen". Fünf Tage später hat die in dem von der Phalange beherrschten Ost-Beirut erscheinende Zeitung "l'Orient - Le Jour" unwidersprochen die Version verbreitet, Scharon habe die Bildung eines speziellen "Kamikaze-Kommandos" aus jungen, ausgewählten Leuten der Lebanese Forces angeordnet, das Gemayel töten sollte. Diese Variante klang abenteuerlich, womöglich zu abenteuerlich, um wahr zu sein. Aber sie belegte zumindest die weitere Entfremdung eines Teils der libanesischen Rechten von den Israelis. Verhaftet wird schließlich der Student Tanios Chartouni. Seine Großeltern lebten in einem Obergeschoß des zerstörten Gebäudes. Sein Bruder war ein Leibwächter Gemayels. Chartouni konnte in das Haus gelangen, ohne Verdacht zu erregen. Schließlich gesteht er. Er habe in "Kontakt mit einer ausländischen Macht gestanden". Niemand wird je präzisieren, mit welcher. Libanons Ministerpräsident Wazzan hatte um Mitternacht den Tod Gemayels offiziell bekannt gegeben. Das israelische Kabinett hatte die Armee ermächtigt, in Beirut einzumarschieren. |
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