15. September 1982: Israels Armee rückt vor
Am 15. September rückten die Israelis im Morgengrauen auf vier Achsen vor. Ihre Panzer fuhren vom Hafen aus an der Küstenstraße entlang. Eine zweite Kolonne stieß vom Flugplatz aus nach Norden. Eine dritte Marschsäule schob sich in westlicher Richtung auf der Mazraa-Straße vor und schnitt auf diese Weise die Palästinenserlager von den anderen Stadtvierteln ab.

Loren Jenkins, der Korrespondent der "Washington Post", meldete seiner Zeitung: "Tiefflüge israelischer Kampfmaschinen über den Wohnvierteln in der Dämmerung gingen dem Vormarsch israelischer Panzer, Schützenpanzer und der Infanterie voraus... Israelische Kriegsschiffe beschossen die Gegend nördlich der Panzerspitzen..."

In Washington erklärte Botschafter Moshe Arens (einige Monate später trat er die Nachfolge Ariel Scharons als Verteidigungsminister an, nicht zuletzt wegen der Ereignisse dieser Tage) auf einer Pressekonferenz, die israelische Armee werde in West-Beirut "jene Polizeifunktion haben, die niemand anderer ausüben kann ... Wären wir nicht dort, dann ginge alles in Flammen auf..." Der gleiche Zynismus im offiziellen israelischen Kriegskommuniqué: "Es wäre für Israel unmoralisch, sich nicht an der Friedenssicherung zu beteiligen."

Um 11 Uhr hat an diesem 15. September eine offizielle Mitteilung aus Israel wissen lassen, man habe nunmehr alle strategisch wichtigen Punkte in West-Beirut unter Kontrolle. Sabra und Schatila seien eingeschlossen.

Im Gaza-Krankenhaus, mitten im Flüchtlingslager Sabra, hatte der norwegische Arzt Per Mählumshagen um diese Stunde die Ankunft zahlreicher Verwundeter registriert. Sie waren durchweg von Schrapnellgeschossen getroffen worden.

Just um diese Mittagsstunde empfing in Jerusalem Ministerpräsident Begin den amerikanischen Sonderbotschafter Morris Draper, um ihn offiziell von dem Einmarsch zu informieren. Wie haben die USA auf den Bruch des von ihnen garantierten Abkommens reagiert? Nun, milde, wie immer. Larry Speakes, Stellvertretender Sprecher des Weißen Hauses, hat in Washington gesagt, Israel habe den USA versichert, das Vorgehen sei "begrenzt und vorbeugender Natur". Der Sprecher des Außenministeriums meinte, es wäre "hilfreich" gewesen, wenn Israel die Reagan-Administration vorher "konsultiert" hätte. Aus Jerusalem hat man gewisse "politische Quellen" zitiert: Der Einmarsch habe die "stillschweigende Billigung durch die USA".

Nicht einmal durch einen Zwischenfall am Mittag dieses 15. September ist die amerikanische Zurückhaltung beeinträchtigt worden. An der Uferstraße im Zentrum Beiruts, auf der am Morgen die Israelis vorgerückt waren, liegt das Gebäude der US-Botschaft. Als sich die israelischen Soldaten ihr näherten, wurde ihnen über Funk befohlen, "um keinen Preis zu schießen". Ungeachtet dessen sind einem Wachtposten des Marinecorps auf dem Botschaftsdach die Kugeln um die Ohren gepfiffen und haben ihn nur knapp verfehlt. Die israelische Regierung hat sich später entschuldigt. Man habe den GI für einen Linksmilizionär gehalten.

Bei einem anderen Zwischenfall hat man keine Entschuldigung für notwendig gehalten. Israelische Soldaten sind unter Mißachtung der diplomatischen Immunität auf das Gelände der sowjetischen Botschaft vorgedrungen. In einer Stellungnahme der Israelis an das amerikanische Außenministerium (!) hieß es dazu, die Soldaten einer gepanzerten Einheit seien vor "feindlichem Beschuß" geflohen. Sie wollten auf dem Botschaftsgelände die folgende Nacht verbringen, weil sie dachten, es handele sich um "einen ganz gewöhnlichen Hinterhof".

Die Forderung des sowjetischen Konsuls nach sofortigem Abzug hätte der israelische Kommandeur ablehnen müssen, "weil draußen geschossen wurde". Der Bericht hat dann allerdings eingeräumt, man habe dem Diplomaten "mit Eröffnung des Feuers gedroht", falls er auf seinem Verlangen beharre.

An diesem 15. September war Ariel Scharon in Begleitung von Armee-Geheimdienstchef Saguy schon um neun Uhr morgens zu dem soeben eingerichteten vorgeschobenen Kommandoposten des Brigadegenerals Amos Yaron gekommen. Der war auf dem Dach eines verlassenen sechsstöckigen Hauses eingerichtet worden, von dem aus man das Lager Schatila übersehen konnte. In späteren Berichten und Untersuchungen sollte dieser Kommandoposten noch eine wichtige Rolle spielen.

Hier nun hatte man den Verteidigungsminister noch einmal davon informiert, daß die Phalange-Milizen bereit seien, in die Flüchtlingslager einzurücken. Und hier hat Scharon dann tatsächlich die Weisung gegeben, man solle sie hineinschicken, "unter der Aufsicht von ZAHAL". ZAHAL ist die hebräische Abkürzung für die offizielle Bezeichnung "Israelische Verteidigungsstreitkräfte" - Israel Defence Forces - IDF

Anschließend haben sich der Minister und Saguy im Osten Beiruts mit einigen Offizieren der Phalange-Milizen getroffen. Zugegen waren Elie Hobeika und Fadi Frem, und diese Namen sollte man sich merken.

Am Nachmittag tauchte Scharon dann in Bikfaya auf, am Stammsitz der Gemayels, wo gerade die Beisetzung des ermordeten Präsidenten für den Abend vorbereitet wurde. Während über dem Dorf israelische Kampfflugzeuge kreisten, notierte der Korrespondent der französischen "Le Monde": "Scharon, im offenen Hemd, ist nach Bikfaya gekommen, um seine Anteilnahme zu bezeugen. 'Niemand hat ihn eingeladen,' sagt man." Und so gäbe es "eine eisige Begrüßung".

Zur gleichen Zeit, um 16 Uhr 30, hat in Rom der Papst den Vorsitzenden des Exekutivkomitees der PLO, Yasser Arafat, empfangen. Arafat hat bei dieser Gelegenheit seine Auffassung wiederholt, man müsse eine politische Lösung des Palästina-Problems finden. - Der Vatikan-Empfang für den PLO-Führer machte weltweit Schlagzeilen. Die israelische Regierung aber hat ganz im alten Ton ("zweibeinige Tiere" etc.) mit einer offiziellen Erklärung reagiert: "Israel gibt seinem Schock darüber Ausdruck, daß Papst Johannes Paul II. dem Mann eine Audienz gewährt hat, der einer Organisation von Mördern vorsteht, die im Zentrum des internationalen Terrorismus steht..."

Am Abend dieses 15. September schließlich hat Israel die Grenzübergänge Metulla und Naharija an der libanesischen Grenze für jeglichen Durchgangsverkehr geschlossen. Die Begründung ist die gleiche gewesen, wie die für den Einmarsch in West-Beirut: Man wolle nach dem Mord an Gemayel ein Blutvergießen verhindern. Muß man dazu die israelische Grenze schließen? Die einleuchtendere Erklärung sollte man bald wissen: Man versuchte, unerwünschte Zeugen auszuschließen!

Zunächst aber haben die israelischen Zeitungsleser am Morgen des 16. September in ihren Blättern ein Interview mit Generalstabschef Rafael Eitan gefunden, in dem es hieß: "Wir haben eine Katastrophe verhindert. Unsere Truppen haben die Flüchtlingslager umzingelt und hermetisch abgeriegelt." Eitan hat jene Parole verkündet, die zuvor schon von Verteidigungsminister Scharon ausgegeben worden war: In den Lagern befänden sich noch etwa zweitausend "palästinensische Terroristen". Deshalb sei das israelische Vorgehen berechtigt. (Übrigens wird man diese zweitausend "Terroristen" niemals finden.)

Freunde Palästinas