17. September 1982: Die ersten ausländischen Augenzeugen |
Am Morgen des 17. September gegen 7 Uhr hörten die Mediziner im Gaza-Hospital näherrückenden Kampflärm. Zweiundachtzig Verletzte kamen ins Krankenhaus und berichteten von Massakern.
Ein israelischer Soldat, der an einem der Lagerausgänge Posten stand, erzählt später der Zeitung "Ha'aretz", es seien schreiende palästinensische Frauen gekommen und hätten berichtet, "die Christen" würden ihre Kinder erschießen und die Männer in Lastwagen abtransportieren. "Ich habe das meinem Offizier erzählt, aber der sagte nur: 'Es ist o.k.". Um acht Uhr fanden sich einige ausländische Korrespondenten am Eingang zum Lager Sabra ein. Milizionäre und israelische Soldaten verwehrten ihnen den Zutritt. Roy Wilkinson von "Newsweek" gelang es dagegen, einige hundert Meter nach Sabra hineinzukommen. Dann hielt ihn ein Milizionär fest. Ein anderer Phalangist rief: "Ich habe einen alten Mann gefunden." Antwort: "Dann erschieß' ihn!" Wilkinson sah auch, wie die Milizionäre das Lager verließen, um sich auszuruhen. Die Israelis gaben ihnen Lebensmittel und Getränke. Erklärung eines "hohen israelischen Regierungsvertreters" am 20. September: "Gewisse beunruhigende Berichte trafen Freitag morgen ein, aber es gab noch kein klares Bild, was los war." Aussage von Oberleutnant Ari Grabowski, Kommandeur einer Panzereinheit, stationiert am Eingang von Sabra, über den Morgen des 17. September: "Ich konnte aus etwa fünfhundert Meter Entfernung sehen, wie Phalangisten fünf Frauen und Kinder getötet haben." Einer der Mörder sagte ihm: "Die schwangeren Frauen bringen künftige Terroristen zur Welt - Kinder wachsen und werden zu Terroristen." Um neun Uhr jedenfalls informierte Grabowski über Funk seinen Bataillonskommandeur. Er erhielt die Antwort: "Ich weiß, das ist schlecht, aber wir greifen nicht ein." Um elf Uhr teilte ein israelischer Offizier General Drori mit, er sei "wegen des Vorgehens der Milizen besorgt"! Daraufhin, so Scharon vor der Untersuchungskommission, hat Drori das Ende der Aktion befohlen und Eitan informiert: Die Phalangisten seien "zu weit gegangen". Doch das Morden ging weiter. Milizionäre drangen in das Akka-Hospital am Rande von Schatila ein. Sie forderten die ausländischen Ärzte und Pfleger auf, mit erhobenen Händen aus dem Krankenhaus zu kommen. Die Eindringlinge vergewaltigten die 19-jährige palästinensische Krankenschwester Intisar Ismail und erschossen sie danach. Unterdessen führte man das ausländische Personal zum Südeingang von Schatila, wo es von einer Gruppe israelischer Soldaten erwartet wurde. Diese kontrollierten die Pässe. Norwegische Diplomaten fanden sich ein und erreichten die Freilassung der norwegischen Mediziner. Den anderen wurde erlaubt, ins Hospital zurückzukehren. Um elf Uhr rief der Militärkorrespondent der israelischen Zeitung "Ha'aretz", Zeev Schiff, den Kommunikationsminister Mordechai Zippori an. Schiff hatte am Morgen dieses 17. September von Freunden in Beirut Informationen über die Morde erhalten. Minister Zippori telefonierte sofort mit Außenminister Yitzchak Schamir. Dessen Aussage vor der Untersuchungskommission: "Es hat mich auch nicht besorgt gemacht, denn es war mir klar, daß alle Vorgänge den mit mir im Raum versammelten Leuten bekannt waren." Außerdem sei ja alles eine Sache der Auslegung. Zippori hätte bei seinem Anruf das Wort "hishtolelut" benutzt, was im Hebräischen sowohl kindlichen Übermut, Ausgelassenheit oder Sich-Austoben bedeuten kann, aber auch Wüten, Toben, eine Ausschreitung. Schamir: "Da dieses Wort so viele Bedeutungen hat, habe ich es nicht als alarmierend empfunden." Um zehn Uhr hatte sich die Verwaltungsleiterin des Gaza-Hospitals auf den Weg gemacht, um Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes über das Andauern der Schüsse im Lager zu informieren und zum Eingreifen zu bewegen. Noch hatte man im Krankenhaus keine Vorstellung von dem Unvorstellbaren. Jetzt, um zwölf, kehrte sie zurück, ohne etwas erreicht zu haben. Sie berichtete nur, daß "etwas Schreckliches geschieht", und forderte alle Palästinenser unter dem Personal auf, sich in Sicherheit zu bringen. Mit diesen verließen auch viele Flüchtlinge das Hospital. Als sie, eine weiße Fahne schwenkend, die Lagergrenze von Sabra erreichten, wurden sie von israelischen Soldaten zurückgeschickt - in den Tod. Ein israelischer Soldat hat ihnen gesagt: "Ich kann nichts machen. Wenn Ihr noch zehn Minuten länger hier bleibt, schieße ich..." Ein israelischer Panzer schob sich auf die Gruppe zu. Gegen 13 Uhr drang der dänische Fernsehkorrespondent Flindt Petersen bis zum Eingang von Schatila vor. Seine Kamera hielt fest, wie ein Lastwagen mit Frauen und Kindern von Phalangisten am Verlassen des Lagers gehindert wurde. 16 Uhr. "Newsweek"-Korrespondent James Pringle fragte einen Milizionär am Lagereingang, was hier vorgehe. Antwort: "Wir schlachten sie!" Ein israelischer Oberst, der sich "Eli" nannte, sagte zu Pringle: "Wir werden nicht eingreifen!" Indessen sagte ein anderer israelischer Oberst, der seinen Namen nicht nennen wollte, in einem Gefechtsstand zum Reuter-Korrespondenten Paul Eedle, seine Leute seien angewiesen, sich nicht einzumischen. Vor diesem Gefechtsstand ruhten sich israelische Soldaten auf ihren Panzern aus, lasen und hörten Musik. Hundert Meter weiter erfrischten sich in einem Gebäude der Universität Phalangisten nach ihrem Einsatz. Am Eingang von Schatila sah der norwegische Diplomat Gunnar Flakstadt einen Bulldozer mit Leichen vorüberfahren. Um 16 Uhr 30 haben sich die israelischen Kommandeure erneut mit den Bossen der Mörder getroffen. Jetzt ging es um die Weisung, die Aktionen bis spätestens am nächsten Morgen um fünf Uhr einzustellen. Zuvor aber hat, General Yaron zufolge, der mittlerweile in Beirut eingetroffene Generalstabschef Eitan die Mörder gelobt: "Sie haben gute Arbeit geleistet, aber jetzt müssen Sie sich zurückziehen." Die Berichte aller Augenzeugen stimmen in einem überein: Die schlimmsten Dinge ereigneten sich erst in der Nacht zum Samstag, zum 18. September. Sie fanden erst nach dem Treffen der israelischen Generale mit den Miliz-Bossen statt, in jenen zwölf Stunden, die die Israelis den Mördern noch zugebilligt haben. Doch inzwischen war es an diesem 17. September erst einmal 18 Uhr geworden, die Dämmerung legte sich über die libanesische Hauptstadt. Zusammen mit dreißig anderen Männern mußte sich der 31-jährige Mustafa Habra an einer Mauer aufstellen. Seine Frau und seine drei Kinder waren zuvor von den Milizionären weggeschafft worden, er würde sie nie wieder sehen. "Sie haben auf uns geschossen," sagt er. Sieben Geschosse trafen Mustafa Habra. Ein Toter fiel über ihn. Am nächsten Morgen findet man den Verwundeten und schafft ihn ins Krankenhaus. Jetzt, um 18 Uhr, rief der USA-Botschafter in Israel den Stellvertretenden Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, Hana Bar-On, an. In Washington habe man "indirekt" Nachrichten über ein Massaker in Beirut erhalten. Was es damit auf sich habe? Aber es gab keine klare Auskunft für die Amerikaner. |
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